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11. September 2021

1. Sulzer Kulturtag

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Unter dem Gähnenden Stein

(Sulz 1848–1948)

Kapitel 5: Verfolgung und Widerstand

Hochzeit 1945 – Archiv Klaus Schätzle

Foto: Unbekannt

1. Schatten, vorausgeworfen

Freitag, 3. Februar 1933, Berlin, Sulz, Warschau, Lodz (Polen), Mohilew (Ukraine), Czestochowa (Polen).

Reichsaußenminister Konstantin von Neurath feierte seinen 60. Geburtstag auf Einladung des Chefs der Heeresleitung, Kurt von Hammerstein-Equord, in dessen Privatwohnung mit der Crême der Generalität. Gekommen war auch der neuernannte Reichskanzler und schwadronierte schon seit mehr als zwei Stunden über Lebensraum im Osten und dass ein paar Millionen Ostische dem nicht entgegenstehen sollten. Von Hammersteins Tochter Helga, Mitglied der KPD, schrieb, hinter einem Vorhang versteckt, mit und würde am nächsten Tag Stalin unterrichten. Die Gäste reagierten herablassend bis unterkühlt. „Stets war die Rede kecker als die Tat“, zitierte einer Schiller, wenn auch falsch. Unvorstellbar, das alles.

Liberata Schätzle blickte auf einen ihrer „schlechteren“ Tage zurück, sie war nicht zur Arbeit gegangen, der immer gleichen Armbewegung am Furniertrockner der Möbelfabrik. Leon Czech freute sich, hatte er doch endlich Dana, die neue Arbeitskollegin, angesprochen und sie ins Café Szpilman in der ulica Karla Marka eingeladen. Richard Schmid, zu Besuch in der Kunstmühle, stellte sein Weinglas ab und blickte seinem Bruder Paul voll ins Gesicht: „Ich fasse zusammen: gegen die Braunen sind wir beide, aber du denkst, dieser Spuk geht von alleine vorbei.“ Paul, der Ästhet, dachte er, der Müller und Geschäftsmann. Wie hältst du es hier aus, dachte er, und wusste, das war ungerecht, und beschloss, ihm nicht zu erzählen, was er als Rechtsanwalt in Stuttgart über SA-Gewalttaten erfahren hatte. Gemeinderat Jakob Stockburger gratulierte sich, dass er vor acht Monaten die Arbeitsgemeinschaft der Neuhausbesitzer gegründet hatte, damit ließe sich vielleicht etwas organisieren. Über die nahe Zukunft seiner Partei und der SPD machte er sich keine Illusionen.

„Zeig doch mal!“ Jozefa war neugierig. „Die ist ja toll. Und deinen Namen haben sie auch eingraviert. C. Kudelski für 200 Spiele SKS Lodz 3.12.1933. Von Tissot, auch noch. Und du bist grade mal 15. Vielleicht wirst du ja mal richtig berühmt.“ Schwer zu sagen, wer stolzer war, seine Mutter oder Czeslaw selber. Galina hatte sich mal wieder in den Kuhstall geflüchtet. Da war es warm, und es schlug sie keiner. Lieber hätte sie mit dem Stanislaus gespielt. Aber „die Pochopiens sind keine Gesellschaft für unsereinen“. Henryk Sudecky spürte, wie ihm schlecht wurde. Ministrant beim „Großen Gebet“. Eine Stunde vor dem Altar knien, das war mörderisch für seinen 15 Jahre alten Kreislauf. Und er hatte irgendwie das Gefühl, dass die Schwarze Madonna ihm zublinzelte: Geh‘ ruhig raus. Ich wollte auch nicht so lange knien müssen.

SA-Obersturmmann Stickel hängte das Hindenburg- Foto weiter links, das Hitler-Portrait auf gleicher Höhe brauchte Platz, aber das Bild seines alten Feldherrn hinterließ sichtbare Ränder zwischen beiden auf der Blümchentapete. Da hatte er einen Geistesblitz. Aus der Truhe holte er das vor Monaten abgenommene Kruzifix und befestigte es über der Verfärbung. Das sah gut aus, fand er, und seine Emma würde es auch freuen. Er hob sein Bierseidel und prostete den dreien zu.

Der Anruf, den alle Eltern fürchten, kam um halb Neun. „Polizeiposten Sulz, Landjäger Engst. Wir haben eure Buben erwischt, wie sie ein Plakat vom Reichskanzler heruntergerissen haben. Ist Wilhelm zu sprechen?“ Das sei, sagte der Landjäger, eine letzte Mahnung. Bei der bekannten Einstellung der Familie würde es über kurz oder lang schrecklich enden. „Die SA lässt sich das nicht bieten, und ich kann es nicht verhindern.“ „Schon dein Vater, Wilhelm, war ja ein Kommunischd. Damit muss jetzt Schluss sein! Ihr solltet jetzt ums Verrecken nicht mehr auffallen!“ Wilhelm Braner, kreidebleich, versprach eine gehörige Tracht Prügel. Da hatte er die Rechnung aber ohne seine Frau gemacht. „Den ganzen Tag schimpfen und lästern, da brauchst dich net wundern!“

„Autsch!“ Frau Scharrer steckte den Finger in den Mund und saugte. Hatte sie sich doch beim Bügeln vom Anzug ihres Mannes, dem Leiter der Stadtkapelle, am Parteiabzeichen gestochen. „Was trägst es auch unterm Revers, wo’s keiner sieht!“, schimpfte sie. „Jetzt kannst es doch offen zeigen!“ Pfarrer Rebstock betrachtete nachdenklich das Konzept der Rede, die er ein Jahr zuvor auf der Zentrumskundgebung gehalten hatte: „Die Religionsauffassung der Nazis läuft der der katholischen Kirche diametral zuwider“. Dann zerriss er das Blatt. In seiner Dachstube schob der alte Kasper Braner seine geheimen Tagebücher in den hintersten Winkel des Kniestocks. Er hatte nicht mehr lange, das wusste er. Wilhelm würde sie nicht mögen. Der Alte hoffte auf die Enkel. Redakteur Haas zerriss ein Dankschreiben des Reichsbundes Jüdischer Frontsoldaten in Horb für den Abdruck einer Rede über „vaterländische Gesinnung“. Die Ernennung des nun schon dritten Reichskanzlers innerhalb weniger Monate hatte er mit einer müden Unterschlagzeile abgetan, dazu fünf Zeilen Text. Das war womöglich ein Fehler gewesen. Der Fackelzug der SA und die wilden Verhaftungen noch in derselben Nacht hatten ihn mächtig beeindruckt.

2. Aufräumen!

Donnerstag, 7. Dezember 1933, Sulz, Holzhausen, Vöhringen.

„Es ist mir selbst unerklärlich“, tippte der Landjäger Engst ins Vernehmungsprotokoll des Jakob Hetzel, „wie man sagen kann, ich häbe ‚Heil Moskau‘ gerufen.“ Unglaublich, womit sich ein Polizist im Führerstaat beschäftigen musste. „Dass Jakob Geiser in der Linde war, daran kann ich mich noch erinnern. Dass dieser aber zu mir sagte: ‚Jakob, spare deine Worte‘, das habe ich nicht gehört. Ich betone nochmals, dass ich nicht gegen die Regierung eingestellt bin, denn ich habe bei Sammlungen auch schon Stroh und Weizen hergegeben.“ Alle Zeugen, alle Beklagten, unzuverlässig, besoffen, schon lange aus der SPD / DDP / dem Zentrum ausgetreten, geistig minderbemittelt, nichts gehört. Nichts gesehen auch, dachte der Engst und grinste, als die Frida Plocher, Ringführerin der NS-Frauenschaft in Holzhausen, diverse Verfehlungen zur Anzeige gebracht hatte, wie „Der soll seine Schulden bezahlen“ oder „Alle Fehler hat er“, wo doch der Führer weder rauche noch trinke. Warum die Wilhelm Plochers nicht ins KZ gebracht worden seien, die ihren Kindern „die Füße abschlagen“ wollten, wenn sie mit dem Erntedankumzug gingen? Nicht verwandt, nicht mal verfeindet, nur staatbürgerliche Pflicht. Allein dieser vermaledeite Umzugsboykott füllte schon 15 getippte Seiten. Dazu hatte die Plocher Briefe geschrieben: ans Innenministerium, an die Politische Polizei, an Polizeidirektor Dreher. Leider waren alle Briefe verloren gegangen: versehentlich mit anderen Akten irgendwohin geschickt worden, oder aber „gingen sie mir beim Radfahren verloren,“ wie der Stationskommandant Stilz zu Protokoll gab.

Kreisleiter und -funkwart Eugen Beilharz tobte. Zum dritten Mal war die Führer-Rede auf dem Marktplatz übertragen worden, zum dritten Mal die halbe Stadt angetreten, und zum dritten Mal hatten unbekannte Saboteure mit Rückkoppelungen dazwischengefunkt. Volle zehn Minuten war die eh schon leicht zum Überschlagen neigende Stimme des Kanzlers zur Unkenntlichkeit zerschrillt worden. Herumfuchteln zum Anhören! Zum Glück hatte die SA den Marktplatz so umstellt, dass sich fast niemand davon machen konnte. Aber unbekannt! Das fuchste ihn am meisten. Was war denn daran so unmöglich, ein paar Wohnungstüren einzutreten? Die Geräte mussten ja noch warm sein. In rasender Eile tippte der Beilharz eine Notiz für die Zeitung: An die Radiobesitzer: „Es ist in letzter Zeit versucht worden, die Radioübertragungen durch unnötige Rückkoppelungen zu stören und wird unbarmherzig gegen derartige Störer vorgegangen. Es solle ja niemand glauben, dass man den Störer nicht entdecken könne.“ Der Haas druckte unverändert ab, inklusive des unangebrachten Konjunktivs. Zwar lag er politisch voll auf der Linie der neuen Machthaber. Aber ihre Sulzer Vertreter verachtete er.

Der alte Braner, der zu seiner eigenen Überraschung immer noch nicht seinem Lungenleiden erlegen war, hatte sein Tagebuchschreiben wieder aufgenommen. Stand heute befand sich kein Sulzer mehr im KZ. Auch die Kommunisten Stockburger, Rauch und Brodbeck waren wieder zu Hause. Falsch, der Jakob Brodbeck war ja gleich darauf gestorben. Im Frühjahr waren sie zu acht verhaftet worden. Zwei Monate, dachte der Kasper, zwei Monate hatten gereicht, sie ein für alle Mal zum Schweigen zu bringen. Bis heute wusste er nicht genau, wer ins KZ, wer in „Schutzhaft“ verbracht worden war. Jakob Stockburger hatte sich wohl vorgenommen weiterzuleben. Ernst Keck war mit Gefängnis davongekommen, dann hatten sie ihn im Triumph durch die Stadt geführt, Schlinge um den Hals, und ihn angespuckt.

Fortsetzung folgt...

Autor:

Klaus Schätzle, geb. 1948
Lokalhistoriker mit ausgeprägter Schwäche für „Geschichte von unten“.

Kapitel 5: Verfolgung und Widerstand
Autor:

Klaus Schätzle, geb. 1948
Lokalhistoriker mit ausgeprägter Schwäche für „Geschichte von unten“.

TaschenbuchIn Sulz kann das Buch in der „Blass Erlebniswelt im Backsteinbau GmbH“ und bei der „Buchlese“ am Marktplatz erworben werden. Erschienen ist das Werk im Verrai Verlag / Stuttgart mit der ISBN 13: 978-3-948342-72-2.